Der fünffache Rheinmarathon
Fahrtenleitung: Paul Grant
Fotos: Carola Marcus, Andrea Lührs, Eva Maria Lange, Simone Brandenburg
Text: Simone Brandenburg
238 km rudern in vier Tagen, geht das?
Die Fahrt ist ausgeschrieben von Donnerstag bis Sonntag auf dem Rhein von Wiesbaden-Biebrich bis Düsseldorf. 60 km im Tagesdurchschnitt sollen es sein. Wenn wir in den gesteuerten Vierern umschichtig auf dem Steuerplatz verschnaufen, reduziert sich das tägliche Ruderpensum um 20% von 60 km auf 48 km am Tag.
Wie stark unterstützt die Strömung ein solches Vorhaben? Laut Recherche fließt der Rhein mit “bis zu 10 km/h”. Das klingt doch ganz ordentlich (in der Realität waren es zeitweise nur 4 km/h). Dann kommt man wohl sogar in mit Übernachtungsgepäck beladenen Wanderbooten ans Ziel.
Klingt trotzdem ziemlich herausfordernd! Kann man das schaffen? Kann ich das schaffen?
Schlösser, Burgen und die Loreley
“Warum ist es am Rhein so schön?” singt eine alte deutsche Volksweise. Nun, wegen der Weinberge, der am Ufer aufragenden Felsen und bewaldeten Hügel mit pittoresken Schlössern, Burgen und Türmen, wegen der vielgestaltigen Kirchen und (Fachwerk-)Städtchen, durch die “Vater Rhein” sich vom Bodensee bis zur Nordsee schlängelt. Schon zur Römerzeit war der große Fluss ein bedeutender Wirtschaftsweg mit vielen Ansiedlungen an beiden Ufern.
Das Rheintal verspricht ein abwechslungsreiches Panorama zu präsentieren, während die Skulls oder Riemen Tausende Male am Tag aufgedreht, eingetaucht und durchgezogen werden. Die Zeit wird wie im Flug vergehen!
Der Monat Juni: Klug gewählt vom Fahrtenleiter! Weder sollten wir mit frostigen Temperaturen oder Dauerregen, noch mit brütender Augusthitze geschlagen sein (letzteres kam dann anders als erwartet).
Es könnte ein perfektes Abenteuer werden, denke ich im Februar, als ich mich anmelde.
Die Hamburger reisen mit der Bahn an
… und die Düsseldorfer und die Fahrtenleitung kommen mit dem Bootsanhänger nach Wiesbaden-Biebrich. Germania Düsseldorf leiht uns zwei gesteuerte Vierer: einen (Skull-)Seegig und einen (Riemen-)Inrigger, die wir am Morgen des ersten Rudertages aufriggern und stegabwärts zu Wasser bringen. Jeden Abend tragen wir sie von den Stegen unserer Übernachtungs-Gastgeber-Ruderclubs bergauf auf die Vereinsgelände und morgens wieder bergab.
Die Mannschaftszusammensetzung wechselt täglich, so dass jede und jeder mal mit jedem und jeder rudert und in beide Boote kommt. Sämtliches Gepäck inkl. Schlafsäcke und Lumas wird, wasserdicht verpackt, in den geräumigen Booten mittransportiert.
Luma-Lager oder Hotel, ganz nach Gusto
Beides ist möglich, und beides wird genutzt. Acht der zehn Reisenden wählen das vom Fahrtenleiter vorab organisierte Übernachten in Bootshäusern oder Gymnastikräumen, zwei Ruderinnen organisieren sich Zimmer in nahegelegenen Pensionen oder Hotels.
Jeder erfolgreiche Rudertag findet seinen Abschluss beim gemeinsamen Abendessen auf der Terrasse eines nahegelegenen Restaurants. Wir lassen es uns gut schmecken und leeren manches Glas, bevor wir uns auf unseren Nachtlagern ausstrecken.
Achtung, motorisierter Berufs-Schiffsverkehr!
Zu den großen Unwägbarkeiten gehört die Berufsschiffahrt, die auf dem Rhein mit langen, breiten und schweren Schleppern, auch als Schubverbände, unterwegs ist. Uneinsehbare Kurven, Engstellen mit strudelnder Strömung, eine sich ständig ändernde Betonnung der Fahrrinne, flache Ufer, steile Felswände, Fähren, Auflugsdampfer – der Mittelrhein bietet vielerlei Herausforderungen, wobei die Berufsschiffahrt generell Vorfahrt hat und Ruderboote zusehen müssen, wie sie klarkommen.
Mit Paul Grant und seiner Rhein-Erfahrung sind wir jedoch dafür richtig gut aufgestellt. Dass drei weitere Rhein-kundige Düsseldorfer mit von der Partie sind, gibt uns zusätzlich Sicherheit. Ihre genaue Kenntnis der Strecke und vorausschauendes Navigieren machen die Risiken überschaubar.
Zu unserem Glück fällt die erste, schwierigste Etappe mit dem Binger Loch (schmal, strudelnd, Haarnadelkurve) und dem Loreley-Felsen (Gegenwind, Kurve) auf den Fronleichnams-Feiertag mit offenbar geringerem Transportaufkommen auf dem Wasser. Keines der vorab von den Obleuten angedachten Notmanöver muss eingeleitet werden. Lobend zu erwähnen ist, das zu keiner Zeit jemand im Boot Panik bekommt, sondern stetig und zuverlässig immer weiter gerudert wird.
Ich will Spaß, ich will Spaß
Wenn man sich für das Rudern begeistert (das gerne mal als „Galeerensport“ verspottet wird), reist man ohne die Umwelt zu belasten, dennoch sind Begegnungen mit Enthusiasten des motorisierten Wassersports unvermeidlich. So auch an diesen 4 Rudertagen auf dem Mittelrhein. Je näher wir den Großstädten Köln und Düsseldorf kommen, desto mehr Jetski-Fahrer brettern laut knatternd mit Wahnsinnstempo um uns herum und an uns vorbei. Ja, jeder bespaßt sich auf seine/ihre Weise! An den Ufern lagern – offenbar freiwillig – Menschen in der prallen Sonne, während wir uns in unseren Ruderbooten bei 27-31 Grad nach ein paar Wölkchen oder ein bisschen Wind sehnen und uns bemühen, mit breitkrempigen Hüten, Sonnenschutzfaktor >50, langärmligen Shirts, Wasserbegießungen und vielen Trinkpausen den drohenden Hitzekollaps abzuwenden.
Geschafft – aber so richtig
Und zack, dann geht auch so eine Fahrt zu Ende. Die kürzeste Etappe an Tag 4, Sonntag: Die Strecke des Rheinmarathons, 42,8 km. Verglichen mit Tag 1 und 2 (das waren je rund 70 km) eine entspannte Tour. Dann Boote raus und reinigen, eine letzte gesellige Kaffeerunde mit großer Erleichterung und Dankbarkeit auf allen Gesichtern, Duschen im angenehm kühlen Souterrain des RC Germania Düsseldorf, zur Bahnstation, in den ICE und heim. Ankunft in Hamburg gegen 22 Uhr. Die meisten Mitruderer:innen gehen am Tag drauf zur Arbeit. Respekt! Ich möchte gern eine längere Pause, um mich zu regenerieren.
Einen großen Dank an den Fahrtenleiter Paul Grant und Kompliment für dieses sorgfältig durchgeplante Abenteuer!
Danke außerdem an alle Mitruderernden, die mich dank ihrer Erfahrung mit Zuversicht und Zuspruch inspiriert und vor dem Verzagen bewahrt haben.
Pausentage mit Sightseeing wären eine denkbare Variante
Da das Mittelrheintal eine Fülle interessanter Orte und Sehenswürdigkeiten bietet, könnte eine solche Fahrt gut mit eingeschobenen Pausentagen funktionieren, an denen man sich vom Rudern erholt und Sightseeing macht. Allerdings kommt man dann nicht mit 2 Urlaubstagen aus, sondern müsste sich eine ganze Woche freinehmen. Wer würde das wollen?