Der See ist das Ziel
Fahrtenleitung: Ralf Lange und Anne Ziemann
Text: Clemens Li · Fotos: Carola Marcus u.a. Fahrtenteilnehmer
… und doch kam ich mir auf dem Weg dorthin ein wenig so vor, als hätte ich die Zivilisation endgültig hinter mir gelassen. In Wittenberge (an der Bahnstrecke Rostock-Schwerin-Berlin gelegen) sollte ich auf den RE6 nach Berlin-Charlottenburg umsteigen. Erwartet hatte ich einen echten Zug. Irgendwo weiter hinten am Bahnsteig stand dann das, was früher mal Schienenbus hieß. Am Ende des Wagens eine Tür zu den dahinter untergebrachten vier Plätzen der Ersten Klasse. Und schon bald die Durchsage, dass man rechtzeitig die Ruftaste drücken möge, damit das Gefährt an der nächsten Bedarfshaltestelle auch hält.
In Neuruppin-West aussteigen. Ein Bahnsteig mit Parkplatz und überdachtem Buswartehäuschen davor, kein Bahnhofsgebäude, einige Gebäude, aber kein Geschäft in Sichtweite. Und schon nach 45 Minuten kam das Taxi zum See.
Dabei war Neuruppin mit heute etwa 31.000 Einwohnern nach 1989 zeitweilig angeblich die flächengrößte Stadt Deutschlands, mit 303,3 km². Noch heute ist sie etwas ausgedehnter als Leipzig und erstreckt sich auf 40% einer Fläche, wie Hamburg sie einnimmt.
Langweilig? Viel wichtiger ist natürlich der Ruderclub direkt am See, unser Quartier für zwei Nächte. Alles beisammen:
Komfortable Doppelzimmer mit WC und Dusche, ein großer Aufenthaltsraum mit Küche, um Getränke und Lebensmittel gekühlt bereitzustellen und natürlich zum opulenten Frühstücken. Das Wichtigste bei einer Wanderfahrt ist nämlich nicht etwa das Rudern – das dient in Wahrheit nur als Vorwand für das: Essen.
Deshalb haben wir Freitag Abend auch gleich damit angefangen. Das vietnamesische Restaurant Kampai verlangte uns vom Club aus 700 m Fußweg ab durch die schön wiederhergestellte, alte Stadt.
Neuruppin, eine ehemalige preußische Garnisonsstadt
Nach dem großen Stadtbrand 1787 verdankt die Stadt den klassizistischen Wiederaufbau in überwiegend zweigeschossiger Bauweise mit drei großen Stadtplätzen dem Königlichen Bauinspektor Bernhard Brasch (1741 – 1821). Zurück zum Wesentlichen:
Essen. Im Kampai gab es eine große Auswahl nicht alltäglicher asiatischer Delikatessen, eine leckerer als die andere.
Der Verdauungsspaziergang nach dem Essen führte uns auf kopfsteingeplasterten Wegen durch die restaurierte Altstadt vorbei an der Klosterkirche Sankt Trinitatis. Im 13. Jahrhundert als Dominikanerkloster errichtet, ging sie im Zuge der Reformation um 1540 an den Kurfürsten Joachim von Brandenburg, diente während der Französischen Besetzung 1806 als Gefangenenlager für preußische, 1813 dann für französische Soldaten. Welche Funktion die Kirche im Schwedisch-Brandenburgischen Krieg 1674 – 1679 spielte, wäre zu erforschen. Zur Klosteranlage gehörte ein Hospital und über die Siechenstraße gelangten wir zur Siechenhauskapelle, in der gerade ein Chor probte.
Auf der hölzernen Außenterrasse des Clubhauses fand der Abend bei einigen Getränken seinen krönenden Abschluss und zügigen Ausklang – wir waren entschlossen, um 8 Uhr zu frühstücken. Einige waren noch vorher eine Runde schwimmen im See. Und über Details wie Ovomaltine als Brotaufstrich wollen wir nicht reden.
Irgendwann war ja auch der unwesentliche Teil der Fahrt mal dran, die Rechtfertigung für das Essen. Was mochte das nur sein?
Unsere Gastgeber vertrauten uns zwei gesteuerte Vierer, die Rhin und die Lindow an. Rhin kannte ich als niederländisch für Rhein, hier verbindet der 129 Kilometer lange rechte drittgrößte Nebenfluss der Havel mit Einzugsgebietsgröße von 1.780 km² fast alle von uns an diesem Wochenende beruderten Seen. Mindestens die Rhin kommt von der Bootswerft Rehberg in Celle, von wo auch unsere Alster und Dahme stammen.
Extrem praktisch und absolut altersgerecht die Handhabung: In Gurten auf Wagen stehen die Boote geschützt unter dem Bootshaus, werden von dort wenige Meter zu einer Rolle geschoben, der Bug draufgehoben und dann das Boot darüber ins Wasser gerollt. Ganz nach Bedarf und Wunsch in die richtige Position am geeigneten Steg gezogen.
Der Samstag führte uns nach Norden
Stege zum Anlegen sucht man vergeblich – außer man weiß schon, dass es sie nicht gibt. Von Wasser aus ist auch schwer zu erkennen, ob das Ufer zum Anlegen geeignet und nicht allzu privat ist. Das kennen unsere Wanderruderer: Rechtzeitig Schuhe und Strümpfe ausziehen, dicht ans Ufer fahren, barfuß oder mit Wasserschuhen die letzten Meter. Aber bitte mit der gebotenen Ruhe und schön einer nach der anderen, Fortgeschrittene dürfen auch eine nach dem anderen. Und nichts im Boot vergessen, was man an Land gern hätte, sonst wird’s schwierig. Wo wir das erste Mal angelegt sind, weiß ich nicht mehr. Nur noch, dass es schon nach einem guten Kilometer unter dem Seedamm hindurch ging. Seedamm heißt die 520 m lange kombinierte Eisenbahn- und Straßenverbindung quer über den Ruppiner See. Die Bahnlinie dort wurde schon erneuert, jetzt ist die Straße dran.
Wenig später kamen wir am nördlichen Seeende auf den Rhin. Es ruderten 10 ARVH-Mitglieder mit der Rhin und der Lindow über den Rhin in die Alt-Ruppiner Schleuse. Ob Ralf das Zählen der verschiedenen Grau-, Nacht-, Silber-, Fisch- und anderen Reiher hier schon aufgegeben hat, ist nicht belegt. Der wirklich nette Schleusenwärter half uns über die 40 m lange und nur 6 m breite Schleuse 2,10 m hinauf auf den Molchowsee. Von dort ging es durch den Tetzensee auf den Scharmützelsee und durch das Rottstielflies urwaldartig zum Tornowsee. Anlegen im Norden an der Badestelle Tornowsee.
Mehr als genug unversehrte Natur pur: Eine wenige hundert Meter Wanderung und wir durften endlich wieder – essen: Diesmal im Ausflugslokal und 3-Sterne-Hotel Boltenmühle. Draußen unter Sonnenschirmen ließen wir es uns schmecken. Anschließend die Rudertour in umgekehrter Reihenfolge.
Nach 34 km Rudern hatten wir uns das Abendessen auch ehrlich(?) verdient. Diesmal beim Griechen nur wenige Meter vom Clubhaus, dafür gab es dann auch umso mehr. Eine Runde eiskalter Ouzo stand schon auf dem Tisch und wurde nach dem Essen gleich noch einmal erneuert. Das Essen war zu loben, beim Beilagensalat ging Größe zwar deutlich vor Raffinesse, aber das wiegt nach einem ausgefüllten Rudertag nicht mehr so schwer. Erst recht, wenn der Service aufmerksam, nett, gut und schnell ist. Als schließlich eine dunkle Wolke in Sicht kam, schob man über die riesige Terrasse das passende Schiebedach. Ein findiger Gastronom, dem wir den Erfolg gönnen.
Diesmal führte uns der Verdauungsspaziergang über die Uferpromenade vorbei an der abstrakten Skulptur Parzival am See in einer angemessen großen Runde durch die historische Altstadt zurück zum Ruderclub. Unser halbes Fahrtenleitungsteam musste uns vorzeitig verlassen: Ralf war für Sonntag schon anderweitig verplant. Anne übernahm alleine die Übriggebliebenen, was ihr mit Unterstützung auch der mitreisenden aktiven und ehemaligen PädagogInnen hervorragend gelungen ist.
Am Sonntag ging es auf die südliche Rundtour
Sonntag mit einer ARVH-Kraft weniger brauchten wir weder ein anderes Boot zu nehmen, noch auf Lücke zu fahren:
Vom gastgebenden Ruderclub half und Reinhardt (wenn seine Mutter ihn tadeln wollte, oder eben lieber Reiner) aus. Er rudert seit 60 (!) Jahren und kennt Viele (ich denke: die Meisten) und Vieles am Ruppiner See persönlich. Seine Obmannschaft war mindestens für die Besatzung der Lindow extrem hilfreich: Alle anzusteuernden Landmarken auf unserem Weg zum südlichen Ende des Sees bekamen wir angesagt, den Unterschied zwischen See- und Fischadler, Männchen und Weibchen erklärt und auch wo sich deren Horst befindet. Eine geballte Ladung Geschichte hat uns Reiner auch vermittelt. Sein Wissen reichte noch erheblich weiter zurück als seine sechs Jahrzehnte Rudererfahrung.
Das Aussteigen ins Wasser zwecks Anlegen entfiel an diesem sonnigen Sonntag. An der Badestelle Karwe gibt es einen Steg mit Leiter am Kopfende für die Schwimmer und guter Möglichkeit, mit dem Boot an der Seite festzumachen: Ausleger unter den Steg, aufstehen im Boot und rücklings auf den Steg setzen. Umso bequemer, je größer man ist. Dixi-Klo oder Wald: Alles im Angebot wie auch rustikale Bänke zum Sitzen und (endlich!) Essen. Auch weil eine recht frische Brise wehte, war Reiners Erfahrung und Hilfe beim Ansteuern des Stegs mit Gold kaum aufzuwiegen.
Frisch gestärkt ging es weiter auf dem See. Weder als Gurke noch als Banane entspricht seine langgezogene Form einer EU-Norm. Das südöstliche Ende heißt dann auch wieder Rhin und geht über in den Ruppiner Kanal bis zur Schleuse Alt-Friesack mit der zuerst 1787 erbauten Zugbrücke (1988 auf der 70-Pfennig-Briefmarke der DDR). Geschleust haben wir dort nicht. Die Weiterfahrt über weitere Seen und Kanäle zur Havel durch Berlin und dann über Umwege nach Hamburg war diesmal terminbedingt nicht vorgesehen.
Der Rest ist Geschichte: Zurück, wieder mit Unterbrechung an der Badestelle Karwe, zum Ruderclub, Boote reinigen, alle Räume besenrein hinterlassen und von Angela abnehmen lassen, der geduldig-freundlichen, ehrenamtlich super engagierten Gästebetreuerin des RCN.
Sachen packen und Abfahrt.
Im Ort noch ein Abschieds-Eis bei Paolo Zambons Eisdiele Gelati am anfangs erwähnten Bernhard-Brasch-Platz.
Fazit: Danke an Ralf Lange und Anne Ziemann als Organisations-Team und an alle anderen Mitwirkenden.
Rundum gelungen!