What a Nice Spot for Having a Good Time
DRV-Wanderfahrt in England auf dem River Thames vom 28.09. bis 06.10.2019
Text und Fotos: Ralf Lange
Im letzten Jahr hat sich einer meiner fast vergessenen Jugendträume erfüllt: Auf der Themse von Oxford nach London rudern und in Henley guten Tag sagen! Dieser Wunsch ging in Erfüllung, weil der unermüdliche Hans-Heinrich Busse von der RG Hansa eine DRV-Wanderfahrt angeboten hatte, die eine Erkundung der Themse von Oxford bis Weybridge versprach.
Hans-Heinrich kenne ich bereits seit 1975, weil ich damals bei ihm in der RG Hansa das Rudern gelernt hatte und vor einigen Jahren an einer von ihm organisierten Wanderfahrt in Lettland teilgenommen hatte. Es gibt wahrscheinlich keinen zweiten Fahrtenleiter, der einen vergleichbaren Erfahrungsschatz bei der Planung und Durchführung von Wanderfahrten mitbringt wie Hans-Heinrich. Deshalb freute ich mich sehr, als die Bestätigung der Anmeldung vorlag und die Vorfreude auf die Tour dadurch geweckt wurde.
Eine bunte Gemeinschaft aus 28 überwiegend sehr erfahrenen Wanderruderern
Zusammengefunden hatten sich Ruder*innen aus Deutschland, Österreich und Frankreich, gefühlter Altersdurchschnitt ca. 68 Jahre. Wir teilten uns nach dem erfolgreichen Aufriggern auf die fünf Boote des Weyfarer Rowing Club in Weybridge/Shepperton auf und begannen unsere Tour auf der Höhe von Oxford. Die Themse zeigte sich zunächst von einer angenehm ruhigen Seite und lediglich die vielfältige Tier- und Pflanzenwelt am Ufer sorgte für willkommene Abwechslung.
Ein neuer Eindruck ergab sich allerdings, als die erste Schleuse (engl. „Lock”) auf uns zukam. Wir wurden von Hans-Heinrich vorgewarnt, dass diese Schleusen selbst betätigt werden müssen und einige noch nicht über motorisierte Schleusentore verfügen. Zudem teilen sich die Ruderboote den engen Platz in den Schleusen häufig mit den historischen „Longboats”, die früher für den Warentransport unersetzlich waren und heute i.d.R. nur noch von Freizeitkapitänen genutzt werden. So kam es, dass bei insg. 7 Schleusen der ersten Etappe unser Zeitplan etwas aus dem Ruder lief – das Schleusen brauchte deutlich länger, als Hans-Heinrich einkalkuliert hatte.
Aber Wanderruderer sind flexible Menschen und wir haben mit Geduld, Gelassenheit und Humor jede schwierige Situation gemeistert.
Auf jedem Abschnitt unserer Tour bekamen wir es mit 5-8 Schleusen zu tun, die Mensch und Material einiges abverlangten. Die wenigen „jüngeren Semester”, zu denen ich mit meinen 56 Jahren gezählt wurde, durften aufgrund eines höheren Mobilitätsgrades den Sprung aus dem Boot des Öfteren wagen, um die Schleusentore sicher zu bedienen. Spätestens nach der dritten Schleuse ging dies leichter von der Hand und wir konnten bei dieser Gelegenheit die Ergebnisse britischer Gartenkunst bewundern, die sich an jeder Schleuse eindrucksvoll in Szene setzten. Es wirkte auf uns, als gäbe es einen Wettkampf um die schönste Gartengestaltung an diesen Orten an der Themse – das wäre ein guter Ansatz zur Verschönerung von Schleusen in unseren Breitengraden…
In Henley spürt man, dass das Rudern als Wettkampfsport genau hier erfunden wurde
Über Abingdon, Wallingford und Reading ging es am dritten Tag nach Henley, wo wir uns auf der weltberühmten Regattasportstrecke befanden. Ein erhebendes Gefühl, wenn man bedenkt, welche Rudergrößen sich hier bereits gemessen haben. Auf diesem Abschnitt der Themse spürt man, dass das Rudern als Wettkampfsport genau hier erfunden und verfeinert wurde. Die Dichte der Ruderclubs und die Vielzahl der bestens ausgestatteten Bootshallen mit einem Bootspark, der seinesgleichen sucht, waren äußerst beeindruckend. Jede Universität, so schien es mir, unterhält ein eigenes Leistungszentrum entlang der Themse und immer wieder konnten wir auf unserer Tour die britischen Mannschaften bei ihren Trainingseinheiten auf der Themse beobachten.
Wir wurden von den britischen Ruderern, die an uns vorbeizogen, meistens freundlich gegrüßt, allerdings gelegentlich verbunden mit fragenden Blicken, denn das Wanderrudern bis ins hohe Alter ist in England noch wenig verbreitet. Insofern war unser Anblick aus der Perspektive der englischen Rudersportler wohl etwas exotisch. Unsere Freunde vom Weyfarer Rowing Club in Weybridge/Shepperton können auf diesem Gebiet Pionierstatus für sich reklamieren.
Über Maidenhead ging es weiter bis nach Weybridge
Dort hatte uns Hans-Heinrich im zauberhaften Warren Hotel untergebracht. In diesen historischen Gemäuern sollen bereits Lord Nelson und John Cleese (The „Ministry of Silly Walks”) unter dem uralten Maulbeerbaum eine Teatime genossen haben – what a nice spot for having a good time.
Insgesamt haben wir vier Mal die Unterkunft gewechselt, was mit einem erheblichen logistischen Aufwand verbunden war. Dabei konnte ich während des Landdienstes feststellen, dass es offensichtlich zwischen dem Alter der Mitreisenden und dem Gewicht des mitgeführten Gepäcks einen Zusammenhang gibt: Je älter die Teilnehmenden, desto mehr Gepäck wurde mitgeführt! Es war schon erstaunlich, welch große Koffer, gefüllt mit Gepäck für gefühlt vier Wochen Urlaub, mitgeführt wurden und den Transporter in die Knie zwangen – ganz zu schweigen von den Bandscheiben der Menschen beim Landdienst…
Für die Abende hatte Hans-Heinrich vorzügliche Restaurants ausgewählt
Die abendlichen kulinarischen Genüsse konnten das etwas gleichförmige Catering tagsüber mehr als kompensieren. Offensichtlich haben viele Engländer noch immer eine große Schwäche für labberiges Toastbrot, gefüllt mit wahlweise nichtssagendem Cheddar oder fragwürdigem Aufschnitt, getoppt mit Marmite oder anderen Grausamkeiten. Da ist Luft nach oben aus meiner Sicht und wir dürfen gespannt sein, wie sich die britische Lebensart nach dem Austritt aus der Europäischen Union weiterentwickeln wird.
Vom 29.8. – 6.9.2020 wird es erstmalig eine Wanderfahrt des ARV Hanseat auf der Themse geben
Diesmal werden wir neben der Themse den River Wey erkunden, der von Süden auf die Themse zuläuft und zu den schönsten Flüssen Englands gezählt wird. Aber das ist eine andere Geschichte – für einen weiteren Bericht in der FlüTü. Vorausgesetzt, die Corona-Pandemie ist bis dahin überstanden.
P.S. Als Literatur-Klassiker für das Rudern auf der Themse empfehle ich den Roman von Jerome K. Jerome „Three Men in a Boat”, der auf sehr lustige und unterhaltsame Weise die Erlebnisse von drei Männern und einem Hund auf der Themse beschreibt (vielen Dank an Anne Tessenow für diesen Tipp!).