Zeitloser Ruderrausch über den Kanal des Südens
Eine Regatta über den südfranzösischen Canal du Midi, 10. bis 18. August 2019
Bericht: Marc Tornow · Fotos: Carola Marcus
Der Asphalt glänzte und letzte Tropfen perlten von den Platanen herab. Müde blinzelte der Morgen durch ein graues Wolkenkostüm, die etwa 180 aktiven Teilnehmenden des ambitionierten südfranzösischen Ruderevents rieben sich noch ihre kleinen Augen. Auf Sichtweite von terrakottafarbigen Dachschindeln und Klinkerwänden mit schmiedeeisernen Balkonen davor, mitten in Toulouse also und unmittelbar am Ufer des Canal du Midi gelegen, hatten am Vortag noch alle fleißig an ihrer Ausrüstung gewerkelt. Kletterkunst und Muskelkraft erforderte es, die schnittigen Doppelvierer vom gewaltigen Lastenanhänger herunter zu hieven. Die Skulls und Ausleger, Schrauben und Muttern, doppelte Sätze an Seilen und nicht zuletzt die für norddeutsche Gefilde unbekannten Chariots wurden aus einem riesigen Fundes von Material zusammengesucht und an die Teams übergeben. Stunden vergingen, ehe sich alle 21 Mannschaften eingerichtet und die Ausrüstung eingestellt hatten. Die Chariots – sperrige Holzkästen mit einem Paar ausgedienter Fahrradreifen unten drunter – hatten später alle Boote auf ihrem Bug mitzuführen. Eine nützliche Beigabe, wie die nächsten Tage zeigen sollten. Derweil mochte der unterm Partyzelt ausgeschenkte Kaffee an der Lethargie des frühen Tages nicht wirklich etwas ändern. Bis ein schrilles Fiepsen über den Parkplatz mit den eng aufgereiht stehenden Booten schallte – und alle hellwach waren. Cher monsieur le president, André der II., wie er selbst sich nannte, hielt ein Mikrophon zwischen korrigen Fingern. Trotz seines fortgeschrittenen Alters noch immer ein stattlicher Herr, der nun Kraft seines Amtes als Präsident und Cheforganisator der Rallye du Canal du Midi zur Eröffnungsansprache anhob. Es wurde zu Recht an die meisterliche Ingenieurskunst der Baumeister von vor 350 Jahren erinnert, an die verbindenden Werte der im Zuge dessen erschaffenen Wasserstraße – für den Handel und ein gesellschaftliches Miteinander im Allgemeinen –, und der just jetzt startenden Veranstaltung über den Kanal des Südens. Ein einigermaßen waghalsiges Unterfangen, dessen erste 300 Meter tatsächlich zu Lande absolviert werden mussten. Aufgebockt auf den sperrigen Chariots bugsierten alle Teams ihre Boote vom Parkplatz fort und rollten im Gänsemarsch hintereinander weg entlang der Uferstraße, vorbei am innerstädtischen Port-St.-Sauveur. Mittendrin auch die beiden mit Aufklebern als „Alster” und „Elbe” markierten, geliehenen Doppelvierer, fußläufig begleitet von ihren jeweiligen ARV-Mannschaften und -Freunden. Einige morgendliche Lieferanten schauten verdutzt in ihren Autos sitzend, als da Dutzende Ruderboote den mondänen Boulevard Monplaisir entgegenkamen.
Helden des Olymp
Dann endlich die große Premiere: die Ausrüstung schadlos zum Schwimmen bringen. Als künstliche Wasserstraße verfügte der Canal du Midi seit jeher über ein befestigtes Ufer, und hier am Stadthafen von Toulouse war dieses eine knapp einen Meter hohe Spundwand. Kaum wären Hamburger Ruderleute wohl auf die Idee gekommen, ein Boot zu einer steilen, verwilderten Böschung zu schleppen, um es dann wahlweise über den Sattel eines Handkarrens fast senkrecht hinab ins Nass gleiten zu lassen oder es samt Blättern und eingelegter Ausrüstung kurzerhand hinaus aufs Wasser zu schleudern. Die französischen Equipes verzogen bei diesem gewöhnungsbedürftigen Programm keine Miene, alles normal und scheinbar Standard entlang dieses Kanals. Ohne zu zögern sprangen sogleich schon die Teams aus Paris, aus Lille oder Strassbourg hinab und an Bord, kaum das die geschlagenen Wellen sich wieder gelegt hatten. Zügig wurde abgelegt, „hop hop hop“ trieb le cher monsieur le président zum raschen Aufbruch. Tatsächlich war im Vorteil, wer sich schon heute, gleich am ersten Tag der Rallye, einen exzellenten vorderen Platz erstritt. Denn das sollte über die kommenden fünf Tage lang einzahlen auf die späteren An- und Ablegemanöver an bevorzugten, geringfügig seichteren Uferabschnitten – und damit weitere wertvolle Zeit einheimsen. Das rückte diese Veranstaltung in ein etwas befremdliches Licht: Offiziell befanden sich alle auf einer Wanderfahrt, bei der gemeinhin viel Strecke mit Ruhe und Muße zurückgelegt wird. Aber nicht hier. Denn obwohl später nirgendwo irgendwelche Fahrzeiten oder Rankings veröffentlicht werden würden, obwohl nur alles unter der Hand mitgeschrieben wurde, drängte es die Athletischen schon morgens früh spürbar nach vorn. Da wurde gehetzt und gehechtet, als ginge es um olympisches Gold. Das verwirrte und nagte fortan am Rudervergnügen, das der Canal du Midi fraglos zu bieten hatte.
Überambitionierte Ruderteams setzen zum Überholen an
Die ersten 15, 20 Kilometer führten noch durch die weniger originelle Vororte von Toulouse. Einfache Wohnviertel, Gewerbegebiete mit Fabrikhallen, an denen wieder und wieder die Logos weltbekannter Flugzeugbauer prangten. Spektakulär zwischendrin das „Überrudern“ der sechsspurigen Autobahn A61. Während unten dröhnend der Fernverkehr brauste, glitten droben die Ruderboote durch das milchig-grüne Wasser des Kanals. Und genau hier, an einer Brückenverengung gefolgt von wie Perlen an einer Schnur gereiht liegenden Hausbooten, setzen die überambitionierten Ruderteams zum Überholen an. Ähnlich wie unten auf der A61 wollte man auch oben zu Wasser Meter und Marker setzen – koste es, was es wolle, mochten auch noch so viele Hindernisse in Form von Hausboote im Gestrüpp der Böschung dümpeln. Skulls touchierten sich, Fahrtwege wurden geschnitten, schnibbeln in unübersichtlichen Kurven, immer darauf hoffend, dass der Landdienst vom Fahrrad aus alles im Blick behielt und seine Ansagen wahrheitsgemäß blieben. Denn Vorfahrt hatte offiziell – wen wundert’s – der Motorboot- und Gegenverkehr. Diese Realitäten der eigentlich auf Verständigung und Verständnis fußenden Rallye prägten bereits bis zum Mittag den ersten 23 Kilometer weiten Abschnitt. Unterwegs galt es zudem, die ersten drei von insgesamt 48 Schleusen zu überwinden. Dreimal das Boot tief unten im Kanalbett „beim Schopf“ zu ergreifen und samt Ausrüstung auf das Chariot zu wuchten, um dann spornstreichs im Galopp umzutragen und andererseits weiter zu rudern. Klatsch – nebenan spritzte das giftgrüne Kanalwasser in alle Himmelsrichtungen. Eines der französischen Teams hatte eine weitere Runde beim neu erfundenen Wettbewerb des „Bootweitwurfs“ eingeleitet. Man kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, in welch Windeseile Boote aus dem Wasser entnommen und einige Hundert Meter weiter bereits wieder zum Schwimmen gebracht werden konnten – und auf welche Weise dies geschah. Man fuhr klar auf Verschleiß, was die Teams anscheinend glaubten, sich leisten zu können, handelte es sich schließlich nicht um die eigene Ausrüstung. Die zurückhaltende hanseatische Art war da nicht gefragt, auf ganzer Linie fehl am Platz, und die in diesen Situationen nebenbei entstandenen Fotos zeigen nicht das ganze Drama.
Majestätische Platanen, das Sinnbild des Südens
Als gegen 12:30 Uhr schließlich zur Mittagspause im Ort Ayguesvives gebeten wurde, da gehörten die Boote „Alster” und „Elbe” aus Hamburg auch schon zu den letzten im Feld. Während die ersten Teams bereits lauthals ihren inoffiziellen Etappensieg bei einem ausgezeichneten Gläschen Rotwein feierten, lud die Gegend unten am Kanalufer noch einmal zum Innehalten ein. Ringsum der zauberhafte Anblick von Platanen. Sie säumten seit der Abfahrt am Morgen wie eine Allee das Bett des Canal du Midi. Auch den Rastplatz beschatteten die majestätischen Bäume, die mit ihrer vernarbten Rinde immer auch ein Sinnbild des Südens, der Ferne und Fremde waren. So auch der opulente Imbiss, der an langen Reihen unter freiem Himmel angeboten wurde: Magret de Canard, Entenschinken an knackigen Blattsalaten, dazu Rotwein satt – ab jetzt Standard und Teil der sprichwörtlichen französischen Lebensart – sowie eine gehaltvolle Paella mit Meeresfrüchten. Spanien und die katalanische Küche ließen von jenseits der Pyrenäen grüßen.
Auf den Spuren der besten Transportwege
Das ferne Dröhnen der Autobahn, es verlor sich im Laufe des Nachmittags irgendwann im Nichts. Der Canal du Midi war ursprünglich als Transportweg angelegt worden. Geschickt hatte man seine Ideallinie von der Garonne hinunter ans Mittelmeer bei Montpellier durch liebliche Täler gewählt, in denen die Wasserstraße, verpackt in Aquädukte, immer wieder Bäche und kleine Flüsse überwand. Kein Wunder, dass die Bauherren der Moderne später exakt dieser, der kürzesten, Route gefolgt waren, als die Eisenbahn zum bevorzugten Transportmittel geworden war und schließlich ihrerseits vom Lastwagen abgelöst wurde. Die Trasse der A61, der „Autoroute des Deux-Mers“, mäandert ebenso entlang des Kanals wie die gut ausgebaute Schnellzugstrecke der SNCF. Dort rauschten alle paar Minuten, verborgen hinter dem grünen Dickicht aus Platanen und Weingütern, Intercity-Garnituren vorüber – gezogen von den in die Jahre gekommen Elektroloks „Mistral“. Der Mistral, der fantastische mediterrane Wind aus südlicher Richtung, war nicht nur Namensgeber für die Schienentechnik der 1980er Jahre, der blies auch tatsächlich hier in dieser Gegend und über den unverändert erbittert ausgetragenen Wettkampf hinweg, den sich ein Teil der 21 angetretenen Teams lieferten.
Beim Rotwein hatten sich erste anregende Gespräche entsponnen, etwa mit den redseligen Australiern, die extra aus Down Under angereist waren, um bei dem Ruderevent dabei sein zu können. Oder mit den kräftig voran ziehenden US-Amerikanerinnen aus Boston, den Briten, den Berlinern, den Hessen, den Elsässern. Eine internationale Entourage, die sich weithin die gesamten gemeinsam verbrachten sechs Tage lang vortrefflich verstand. Auch als man schließlich am Abend in der Jugendherberge von Carcassonne wieder an langen gedeckten Tischen beisammen saß und zu lokalen Spezialitäten über die Ereignisse des Tages sinnieren konnte.
Die kommenden vier Tage verliefen fortan ähnlich: Gegen 5 Uhr begann jeweils der Run der etwa 220 an der Rallye Beteiligten auf die Gemeinschaftsduschen und Waschräume der Bleibe, gefolgt vom Frühstück gegen 6 Uhr, wiederum an langen Tischreihen, und der Abfahrt per Reisebussen um 7 Uhr – jeweils zurück bis zu dem Ort, an dem am Abend zuvor die Boote an Land gebracht worden waren. Eine beachtliche organisatorische Meisterleistung, die neben dem cher monsieur le président vor allem 40 ehrenamtliche Mitwirkende mit Bravour geschultert hatten. Unter ihnen die omnipräsente Madame Oleander, die in Wahrheit Beatrice hieß und wie bei der Geschichte von dem Hasen und dem Igel auf wundersame Weise immer schon zur Stelle war, kaum dass man irgendwo anlegte. Bald hier, bald dort trat sie immer bestens gelaunt mit ihrem schulterlangen silbergrauem Haar und einer helfenden Hand aus Oleander-Hainen oder hinter Platanen hervor.
Wer dagegen etwas von der Burg von Carcassonne haben wollte – einer liebevoll rekonstruierten mittelalterlichen Festung, hinter deren massigen Mauern die Altstadt mitsamt der Jugendherberge lag und von der aus es einen herrlichen Blick über das Tal von Conques-sur-Orbiel gab –, musste im wahrsten Sinne des Wortes früher aufstehen. Das lohnte sich, wenn man Lust auf magische Momente hatte, die sich mit den ersten goldenen Strahlen der Sonne über menschenleeren Gassen aus Kopfsteinpflaster ergossen – bevor die Touristenströme aus aller Herren Länder wieder die Souvenirshops, Eisdielen und Restaurants in der Altstadt, der Festung von Carcassonne, enterten.
Entlang der Aude- und Kulturlandschaft
Rechtzeitig aufgedreht und mit Länge auf der Rollbahn ging es flugs von Port Lauraguais ins zauberhafte Castelnaudray. Die Kleinstadt erschien im gleißenden Sonnenschein wie die pastellfarbene kleine Schwester von Venedig. Unter geschwungenen Brückenbögen aus Sandsteinquadern hindurch und entlang schmucker Bürgerhäuser, vor deren Fenstern hölzerne Läden gegen die Hitze hingen, glitten die Boote auf das Grand Bassin. Ein künstlicher kleiner See, der sich an der Vierfach-Schleuse bei St.-Roch gebildet hatte und mit der dahinter gelegenen Stadtlandschaft einfach zu schön wirkte, um wahr zu sein. Der Cateringservice hatte passend dazu ganze Arbeit geleistet und auf einer Wiese am Ortsrand, betörend unter im Mistral-Wind rauschenden Pappeln gelegen, die Mittagstafel gedeckt. Es gab Honigmelone, Schinken und Cassoulet – ein ortstypischer Bohneneintopf, der mit Entenkeulen, deftigen Mettwürsten und Schwarte auf kleiner Flamme gegart worden war. Mit gefühlt einer Million Kalorien sowie atemberaubend gutem Aroma mundete das üppige Mahl, zu dem locker mal eben drei, vier Flaschen Rotwein verteilt auf ein Dutzend ARV-Reisende ausgegossen werden konnten.
„Pap, pap, pap“, schallte es aus dem Lautsprecher, gefolgt vom schon bekannten schrillen Fiepsen einer neuerlichen Rückkopplung. Cher monsieur le président hatte wiederum zum Mikrophon gegriffen. Neben dem „Hop, Hop, Hop“ als sein Zeichen für und Aufforderung zur Eile, war sein „Pap, pap, pap“ stets Signal für eine folgende Ansprache, Ruhe bitte. Man sei unzufrieden mit den Leistungen einiger Mannschaften, sehe sich gezwungen, zum sorgfältigeren Umgang mit den Booten sowie zu mehr Respekt gegenüber anderen Wassersporttreibenden zu mahnen, verkündete André der II. Hehre Worte, die kaum zu einem Umdenken bei den adressierten Teams führten.
Feuer und Eis
Die Tage verrannen und die Rallye du Canal du Midi führte weiter Richtung Südosten. Vorbei an Bram und über 13 Schleusen nach Carcassonne mit fünf Schleusen und weiter bis Trèbes. In der Ferne grüßten die schneebedeckten Berge der Pyrenäen, als am tiefblauen Nachmittagshimmel eine schwarz-graue Rauchfahne auftauchte. Binnen Minuten – die Ruderboote waren eben erst in Nachbarschaft romantisch gelegener Häuser mit prächtigen Blumenrabatten davor an Land bugsiert – war aus dem dürren Rauchkegel schon eine bedrohlich riesige Rauchsäule geworden. Und als es bei einem Glas Sekt auf Kosten des Bürgermeisters von Trèbes die verdiente Belohnung für all die kräfte- und nervenzehrenden Umstände gab, kreisten bereits die ersten Löschflugzeuge über der Region. Hatten die knochentrockenen Pinienwälder erst einmal Feuer gefangen, konnten solche Brände schnell außer Kontrolle geraten. Darauf schienen die Verwaltungen im Süden Frankreichs bestens vorbereitet zu sein und riskierten in dieser Hinsicht nichts. Man blieb, was den Katastrophenschutz betraf, à jour. Noch am Abend trafen zwei bauchige „Catalina“-Wasserbomber über dem Schauplatz ein, einer lieblichen Hügelkette unterhalb des Mont Roquemaurel. Die Flammen schlugen dort so bedrohlich hoch, dass man sie noch nachts vom Fenster der Jugendherberge im zehn Kilometer entfernten Carcassonne aus sehen konnte, der Himmel flackerte rot-orange.
Am nächsten Morgen, als es wieder auf die Boote ging, stand dagegen nur noch eine dürre Rauchsäule am Himmel. Die Feuerwehr hatte zu Lande und aus der Luft ganze Arbeit geleistet. Trotzdem hielt das sonore Dröhnen der behäbigen Löschflugzeuge den ganzen Tag lang an. Sie schraubten sich mit ihrer tonnenschweren Wasserlast über dem Brandherd in die Tiefe, um dann an exakt bemessenen Positionen ihre Kammern zu öffnen. Als die Flammen ganz erstickt waren, hatten die 21 Boote bereits La Redorte passiert und Ventenac erreicht. Unterwegs nahm der Kanal auf vier spitze Winkel verteilt eine 360-Grad-Wendung. Die Teams „Alster” und „Elbe” lagen da wieder weiter vorn im Mittelfeld, was der Beweis dafür war, dass Leistung auch Spaß machen konnte. Die vorüberziehenden Landschaften hatten zusammen mit dem bestens laufenden Boot euphorisiert. Und als der Bürgermeister von Ventenac wie schon seine Kollegen die Tage zuvor mit einer Begrüßungsrede für die respektable Leitung der Ruderleute aus aller Welt ansetzte, sein Glas Rotwein hob, um auf Kosten des örtlichen Rathauses auf die „tour très sportif“ anzustoßen, tappte auch Bernd in Shorts und Poloshirt ins Bild. Der kauzige Rentner – ein Original aus Eimsbüttel – ließ es sich nicht nehmen, die Teams aus seiner geliebten Heimatstadt persönlich zu begrüßen. Seit die lokale Presse den anstehenden Besuch von zwei Hamburger Teams im Rahmen der jährlichen Runderrallye grell ausgeleuchtet hatte, wehte am Balkon vor Bernds Villa, direkt vis-à-vis der Ziellinie des Tages, die rote Fahne mit dem Wappen der Hansestadt. Lokalpatriotismus im Languedoc.
Tribute der Natur
Auf dem letzten Abschnitt des 206 Kilometer weiten Rennens, das eigentlich nur eine Wanderfahrt sein wollte, forderte das Terrain doch noch seinen Tribut. Die wunderschönen Kaianlage von Le Somail waren passiert und mit ihnen die weißen Kunststoffgehäuse zahlloser Miet-Yachten. Sie fungierten als offenkundig beliebte, weil schiffbare Wohnmobile, und galten vielen als Alternativen für einen originellen Familienurlaub. Manch einem Hünen klafften derweil blutige Schnitte an Beinen oder auf dem Rücken. Kopeister gegangen waren gar ganze Boote samt ihrer Mannschaften beim unbedachten Überholen, beim übereifrigen Anlegen entlang der eben doch nicht so günstigen Spundwände, der teilweise unterspülten Böschungen oder der vom Schilf überwucherten Ränder. Der Sturz ins trübe Nass des Canal du Midi war indes nicht zu empfehlen. Auf seiner gesamten Länge führte das Gewässer ein von Nagetieren übertragenes Bakterium, das bei Infektion auch und gerade über offene Wunden zu Leptospirose führen konnte: lebensbedrohlichen Leber-, Nieren- und Hirnhautentzündungen.
Zudem präsentierte sich die letzte, fast 50 Kilometer lange Etappe als Fahrt durch eine kahle Ödnis. Der Kanal trug nicht nur für den Menschen schädliche Keim mit sich, auch ein Pilz hatte sich in den letzten Jahren über seine Wasser ausgebreitet und die praktisch schon als Wahrzeichen der Region geltenden Platanen-Alleen am Ufer angegriffen. Die prächtigen Bäume waren reihenweise abgestorben, über Dutzende Kilometer weit. Entweder ragten noch silbrig glänzende Gerippe in den Sommerhimmel oder die Baumkronen wirkten bereits schlaff und bräunlich. Das brachte aber auch die Strahlen der Sonne unbarmherzig zur Wirkung. Ihr Schein brannte ungefiltert auf das Wasser. Mit Elan hatten sich zwar alle Anrainer daran gemacht, die klaffenden Lücken in der Natur wieder zu füllen – das mochte aber dauern, wovon die jungen Setzlinge links und rechts am Ufer eine Ahnung gaben. Da war die Aussicht auf Béziers schon erquicklicher, das nur noch ein kurzes Stück voraus lag. Während alle Ruderleute am heißesten Tag der Rallye du Canal du Midi bei +35°C regelrecht gegrillt wurden, spendete der Kanaltunnel bei Colombiers kurzzeitig Schatten. Die Wasserstraße verjüngte sich dort und führte spektakulär mitten durch einen Berg hindurch. Langsam schoben sich die Boote hindurch, eines nach dem anderen – es war geschafft.
Die letzten zweieinhalb Kilometer legten die Teams dann wieder wie schon die ersten 300 Meter beim Ablegen vier Tage zuvor zurück: zu Fuß und mit auf dem Chariot justierter Ausrüstung. Vorbei an einigermaßen verdutzt dreinblickenden Touristengruppen führte der sandige Weg entlang der acht sensationell ineinander geschachtelt liegenden Schleusen von Fonseranes. Dahinter die Silhouette Béziers auf einer Anhöhe, markant der gewaltige Turm der Kathedrale St.-Nazaire, sowie voraus die Gedanken auf die abendliche „soirée dansante“, ein gediegenes Gelage mit Menü und Tanz für 220 Leute unter freiem Himmel. Gegen die französische Lebensart war einmal mehr nichts einzuwenden, die 38. Ausgabe der Rallye du Canal du Midi war beim deftigen Gulasch und einem Glas Rotwein Geschichte. Das Plätschern des Kanals des Südens ging da schon im zunehmenden Trubel der Kleinstadt unter.
(Rallye-Teilnehmer waren Marc, Carola, Eva Maria, Aude, Martin, Verena, Nadja, Antje, Elke, Andrea, Anne und Willi)